Steg an der Undine

 

49.224944, 7.009432

Anne-Marie Stöhr

Anne-Marie Stöhr

Geboren in Saarbrücken, aufgewachsen im Saarland, in Lothringen und Schweden
Viersprachig

Studierte Malerei (Dômen Konstskola, Göteborg) , Neue Medien (École des Art Décoratifs Strasbourg) und absolvierte ihr Diplom der Malerei, der Performance und der Neuen Medien bei Ulrike Rosenbach an der Hochschule der Bildenden Künste Saar.

Schreibt seit 1995 Kurzgeschichten, Gedichte, Übersetzungen und kunstgeschichtliche Texte.

Foto: © Hanni Wurm

Heimweh

Die Hauptpost ist groß und ich gehe immer gerne mit Papa oder mit Mama oder beiden zusammen dorthin. Besonders, weil es manchmal Pakete aus Schweden mit Geschenken gibt. Die Schalter sind hoch und ich kann von alleine nicht über den Rand sehen, wenn wir endlich an der Reihe sind. In der großen, geräumigen Eingangshalle gibt es die Briefmarkenautomaten. Die Schalterhalle ist noch viel größer und aus hellerem Stein. Die Schalterbeamtinnen sitzen hinter Glas mit Nummern und gucken böse. Bis Papa mit ihnen redet, da fangen sie an zu lächeln.In der Vorhalle gibt es auch Telefonzellen. Da sitzen wir manchmal, Mama und ich, wenn sie nach Hause anruft. Ich spiele mit den Telefonbüchern, die hängen in einer Reihe mit Stahlrücken nach unten, man kann sie hochklappen, aufklappen,blättern und wieder zuklappen, runterdrücken, das nächste Buch hochziehen, auf, zu, blättern, runter. Heute weint Mama während sie spricht und ich kann sie gar nicht so richtig trösten. Sie hat Heimweh, sagt Papa.
Nicht weit von der Hauptpost ist der Hauptbahnhof, an der Straßenecke steht ein Kiosk und eine Litfaßsäule mit Plakaten. Der Kiosk ist sehr alt. Papa kann sich noch an ihn erinnern, er sah genauso aus als er klein war, verrät er mir, als er sich eine Schachtel HB und ein Perry Rhodan-Heft kauft. Weiter unten am PeKa vorbei, sitzen lauter Kriegsversehrte. Ein Mann sitzt mit seinen Stummelbeinen auf einem Rollbrett und bettelt. Er macht mir Angst, weil wir auf Augenhöhe sind und er ganz schmutzig ist, mich angrinst und übel riecht. Er hat zwei Stäbe, die er benutzt, um sich vorwärtszurollen. Ich halte mich an Papas Hand fest, sein Arm in einer schwarzen Lederjacke, mit Lederjackenpapageruch, der mich beschützt, die Autos fahren schnell und laut an uns vorbei.

 
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