Park am Theater

 

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Ariana Emminghaus

Ariana Emminghaus

geb. 1995, studierte zunächst Schauspiel in Ludwigsburg. Dort entwickelte sie als Autorin, Regisseurin und Schauspielerin die einstündige Solo-Performance "ein allgemeiner gedanke (und ich hatte ihn) (jetzt nicht mehr)", die u.a. zum UWE-Festival in München eingeladen wurde. Anschließend studierte sie Literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und an der Universität der Künste in Berlin.
Ihr ins Italienische übersetzter Text Malformazioni gewann 2019 den ersten Preis bei The International Poetry and Theatre Competition "Castello di Duino” in der Kategorie Dramatik.
Veröffentlichungen u.a. beim Literaturpreis Schwaben und in der Literaturzeitschrift JENNY.
Ein Auftragswerk für das Theater am Markt Eisenach wird kommende Spielzeit Premiere haben.

Foto: © Wiebke Zollmann

Das große Rad und die wehende Zeit
Es war einmal ein Riesenrad mit Namen "Jupiter". Es stand auf dem Platz mit dem unaussprechlichen Namen vor dem Gebäude, in dem die roten Vorhänge hochgezogen und runtergelassen wurden. Oder in dem sie zur Seite weggezogen wurden, oder in Situationen, die einmal eine Seltenheit gewesen waren, es aber nicht länger waren, gar nicht erst hingen. Vom "Jupiter" aus konnte man weit, weit weg sehen. Man konnte über die Saar blicken und über Häuser, man konnte über den Weihnachtsmarkt blicken und über das Schloss, man konnte über die Adventszeit hinausblicken bis in den Januar, bis in das neue Jahr, man konnte über die Eile blicken und die Lichter, über spielende Kinder und stillstehende Brücken, man konnte den Banner sehen, der an dem Gebäude, das ein Theater war, hing und verkündete, was kommen würde, man konnte nicht hineinsehen und wusste doch, was gespielt wurde, man saß in einer Gondel und war in Sicherheit, man war in einer Gondel mit Glas drumherum, man war ein Fisch im Aquarium im Meer. Wenn man keine Angst hatte, konnte man das alles sehen. Man konnte bis in den Januar hineinsehen, man konnte bis in den Himmel hineinragen. Wenn man keine Angst hatte, konnte man bis in die Zukunft hineinsehen, man konnte auf die Zukunft hinabblicken, vom höchsten Punkt aus konnte man sich umschauen, wenn man sich traute, und staunen über dieses Schweben im Überblick, über diesen kurzen Moment, in dem man wusste, wo alles war, und ganz vergaß, dass man selber auch wo war. Das vergisst man am besten, wenn man ganz oben ist. Aber die Gondel wandert weiter, von dem höchsten Punkt zum nächstniedrigen. Und von einer Tageszeit auf die andere ist es Abend geworden, und die Zukunft ist nicht mehr zu überblicken, und es fühlt sich alles nach Abstieg an, aber auch gut, denn das bedeutet auch: Festen Boden unter den Füßen zu haben. Und der Weihnachtsmarkt wurde verschluckt von einem beschwipst-schunkelig- geselligen Heilig Morgen auf dem St. Johanner Markt. Jetzt fliegt da kein Weihnachtsmann mehr und die Theaterspielzeit geht, vom Wechsel eines Kalenderjahres ungestört, weiter, und der "Jupiter" wird nicht mehr stehen, wird gestanden haben, und man merkt, obwohl es wie eine Ewigkeit schien: Weihnachten ist nur einmal im Jahr. Kinder sind immer im Jahr, Kinder sind rund um die Uhr, Kinder sind auf der Schaukel. Die Schaukel, die so heftig in die Höhe getrieben wird, so schnell, dass der Magen mehr in der Luft hängenbleibt, als er das bei einem lahmen Riesenrad je könnte, die Schaukel überschlägt sich nicht, sie dreht keine Kreise um die Schaukelstange herum. Sie geht hoch, runter, hoch, runter, und man hört Juchzen und Lachen und Weinen und da guckt jemand ganz böse, weil eine andere jetzt schon so lange schaukelt und "Ich will auch mal".
"Nur noch ganz kurz!" 
"Du bist schon sooo lange!"
"Bin ich gar nicht! Ich bin gar nicht lange, ich bin erst... Seit ich bin, habe ich nur... ich habe seitdem nur drei Mal geblinzelt!" 
"Ach ja? Dann darfst du noch... noch elfmal blinzeln, also du darfst noch elfmal Blinzeln lang, aber pass auf: Diesmal blinzle ich!"
"Aber... aber.... du blinzelst ja die ganze Zeit!"
"Ich blinzle, so viel ich will! Ich blinzle, was das Zeug hält! Eins! Zwei! Drei! Vier! Fünf! Sechs!"
"Halt, das ist viel zu schnell! Das ist gegen die Regeln!"
"Sieben! Acht! Neun!"
"Das ist nicht die... die durchschnittliche Blinzelzeit!"
"Zehn! Elf!"
"Aber das war geschummelt, das war gar nicht richtig, so blinzelt niemand richtig, das war falsch so!"
"Ach ja? Als du eben drei Mal geblinzelt hast, das war auch richtig falsch! Also das war nicht richtig. Weil niemand blinzelt so wenig! Das war genauso extra, du hast zuerst geschummelt!"
"So blinzle ich halt!"
"Dann blinzelst du falsch!"
"Nein, du blinzelst falsch!"
Mir dreht sich der Magen um, denn manchmal werde ich allein durch den Anblick von Wasser seekrank.Vor mir fließt die Saar, weiter neben mir auf dem Spielplatz wird geblinzelt, das Riesenrad ist abgebaut, und hinter mir, im Theater, werden Vorhänge aufgezogen oder hochgezogen oder links liegen gelassen. Und vor mir und hinter der Saar und neben jemand anderem, auf der anderen Flussseite und in derselben Stadt, steht ein Schloss. In sich ebenso eine Kombination, eine Collage, eine Wiederverwendung, ein Zusammenkommen von Moderne und Barock, aber das hier soll keine Information zur Architektur des Saarbrücker Schloss sein und hier soll nicht zu hören sein, dass dieses Riesenrad "Jupiter" eine Gesamthöhe von ca. 50 Metern hat, nein, hier geht es um das Gefühl von Hoch und Oben, von Tief und Unten, von Neu und Alt, von Jung und Alt.
In dieser Saar versinken Schiffe und Skateboards. Beim Skateboard ist klar, wer dafür zahlt:"Du warst der letzte, der drauf war, bevor es...bevor es uns weg... bevor es ins... du bist auf jeden Fall schuld und du... zahlst."
Dieses Skateboard liegt dort unten, wird von Fischen angefressen und von Algen umwoben, aber das ist nur eine Vorstellung. Ich kann es vom Ufer genauso wenig sehen, wie man vom Riesenrad ins Theater hineinschauen könnte. Also gar nicht.
Vieles bleibt irgendwie unergründlich, denke ich, während ich geradeaus auf das schwindlig machende Wasser blicke, und fühle mich ein wenig in meinem poetischen Moment gestört, als ein BBQ Donut vorbeifährt. Damit ist der Winter eindeutig Vergangenheit. Und wenn ich nicht gestorben bin, dann blinzle ich noch heute.
 
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