Trauerweide im Bruchwiesenpark

 

49.235436, 7.008756

Natascha Denner

Natascha Denner

geboren und aufgewachsen im sibirischen Tomsk, Arbeitsstipendium in
Dudelange während Printemps Poétique Transfrontalier 2017. 2018 erschien ihr erster Band Schau Schneee mit Lyrik und Erzählungen in der Edition des Saarländischen Künstlerhauses (Topicana, Nr. 34). 2022 erhielt sie Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis. Gerade arbeitet sie an einer Dissertation zu Der Traum als unendliche Spiegelung bei Andrej Tarkovskij im Graduiertenkolleg Europäische Traumkulturen an der Uni des Saarlandes.

Foto:privat

Aus Mordmustern
Einmal sah ich den Genossen Serov als den Mann in Grau in der zweiten Reihe in dem weißen Wolga-Wagen auf den Rücksitz verschwinden. Seiner Statur nach war der Genosse weder zu groß-,noch zu kleingewachsen, in jeder Hinsicht ein Mittelgewicht, seine Gesichtszüge fielen nicht auf,unterm Strich war der Mann nicht der Rede wert. Ich dachte an einen Handlanger, ein Jedermann, l’homme á tout faire. Bei Gegenüberstellungen bleibt dieser Typus Mann unerkannt. Ich dachte an ein perfektes Verbrechen. Ich wusste, dass der Mann einmal einer der Mörder sein wird. Denselben Mann sah ich ein anderes Mal als eine Leiche, die der Fluss gesichtslos an den grobkörnigen Weißsand des Uferrandes spült. Die dritte Leiche aller guten Dinge wegen. AUF- AB-ZUG – Breaking News Ich weiß nicht wie es ist, eine Frau in einem Treppenhaus oder einem Lift zu erschießen, wie in St. Petersburg oder Moskau ein Treppenhaus ausschaut, ob es Müllschächte
gibt, mit Eier- und Kartoffelschalen, die Nager anlocken und ausgebrannte Stromzähler oder ausgedellte Briefkästen, an die sich kein Postmann mehr traut; eines Tages wurde die Postzustellung abgestellt, keine Briefe wurden ausgetragen und alle Glühbirnen gingen aus und an den Treppenabsätzen lümmelten Kinder und schnüffelten an Benzin oder tranken etwas selbst Gegärtes oder inhalierten Tabakersatz in ihre Kindslungen; und an so einem Ort mit einer Knarre eine Frau
abzupassen, war schier nicht so leicht, wegen eines Publikumsverkehrs, der dort weiterhin rege stattfand, ohne Rücksichten auf Briefstopps im Telegrammstil, auch die Zeichen setzten sich fort, mit Kreide oder Kohle an den Wänden, eine Fluchtästhetik aus Fotzen- oder Fuckzucking und dann hieß es, es waren zwei Kopfkugel entweder aus einer gezückten Agram 2000er Maschinenpistole oder aus einer selbst gebastelten Beretta und die Täter waren entweder im heiligen Aleksander- Nevskij-Orden oder unter den Profikillern der Tambowmafia zu suchen, von denen einer ein Kleid und eine Langhaarperücke trug, und die Frau in der Politik war augenblicklich tot - der totale Hirnschaden; aber es war so weit weg von mir, von meinem Erlebnissetting, ich wohnte ja schließlich nicht am Gribojedow-Kanal und das einzige, was mir geschah, war ein Nachbar, der am
Rauch fast erstickt war, aber in letzter Minute gerettet werden konnte, weil ein Schlüssel zufällig gepasst hatte, nicht mal die Tür war einzuschlagen, und aus der Tür ging ein grauer Dampfschwall, zog schleierhaft zu mir herüber und es hieß, er schlief im Rausch ein und vergaß das Bügeleisen auf einem Hemd, der Vorfall ging also in ein Happy End über und der Nachbar mit einem Blauauge
davon, nur das Bügeleisen und das Hemd waren hin. Es war kein Hemd, – sagt der Genosse Serov in einer allerletzten Vorstellung. Ich schnitt dem Genossen seine Worte ab. Aber diese Geschichte,eine dieser Treppenhausgeschichten, die sich zutrugen, und was macht es schon aus, ob es ein Herd oder eine Zigarette war, die angezündet waren und sich ungelöscht ausweiteten; es gab ja diesen Nachbarn, über dem siebten Himmel, im Stockwerk über mir, das Treppenhaus war ganz grau aus Beton und später war an Betonregenschauder zu denken, ich weiß nicht, ob der Nachbar die Marke PARLAMENT geraucht hatte, ich kannte ihn übrigens kaum und wusste nur etwas Vages über einen Werbespot vom Rauch des Parlaments, in dem ein waschechter Panzer auf das Weiße Haus schießt;ich sah, wie der Panzer holperte, der Stahlturm sich leicht drehte, um die Fensterfront des Parlaments in den Blick zu rücken, aus dem Rohr verhallte ein Schuss, einige Gläser splitterten, das vordem intakte Weiß wurde in der Mitte geschwärzt, das Bild kam mir abstrakt vor, es rührte mich nicht, ganz ungerührt saß ich da - sah ich ja nur fern - und doch ging etwas unter im Zigarettenglamour, ich wusste nicht zu bestimmen, was da unter ging, mit dem Wort ascheschall war kein Untergang zu erklären und da ich dauernd müde war zu der Zeit, nickte ich mit dem Panzerbild im Kopf geknickt ein und es war weder ein Hemd, noch eine Bluse, nur ein Halstuch aus Samt, das leicht aufbrannt und als ich aus dem Schlaf aufschreckte, klaffte ein Brandloch im Rot auf, aber es war nur ein Sekundenschlaf - ich träumte von einem Titel Unter Mördern und über den Titel hinaus war der Traum leer. 

 
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